Sonntag 21. September 2025

"Der Exorzist"

Jesus nimmt dem Volk die Angst vor indivueller Bedrohung durch Krankheit und die Angst vor kollektiver Bedrohung durch das/die Fremde/n

Sozialpredigt zum 5. Sonntag im Jahreskreis (4. Februar 2018), LJ B

 

Autor: Mag. Christian Öhler, Pfarrer in Bad Ischl

 

Ein Tag im Leben des Jesus von Nazaret. Ein Sabbat noch dazu, ausgefüllt mit einem Synagogenbesuch in Kafarnaum und einem Hausbesuch bei Simon und Andreas. Jesus lehrt, heilt und treibt Dämonen aus und ist am Ende des Tages so geschafft, dass er sich am darauffolgenden Morgen nichts sehnlicher wünscht als eine Auszeit an einem „einsamen Ort, um zu beten“. Aber er hat die Rechnung ohne den Wirt, sprich die Leute, gemacht. „Alle suchen dich“, sagen die ihm nach eilenden Jünger zu ihm. Und wieder wird summarisch erzählt, dass er in ihren Synagogen verkündete und die Dämonen austrieb.
Jesus treibt die Dämonen aus. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?


Dämonen, Besessenheit, Exorzismus – können wir damit heute noch etwas anfangen?

Die Älteren unter uns erinnern sich an den Tod von Anneliese Michel. Sie litt unter einer psychischen Erkrankung, die im Kontext ihrer Familie und einer fundamentalistischen Religiosität als Besessenheit vom Satan interpretiert worden ist. Die Priester, die beigezogen wurden, haben einen Exorzismus angewendet, ohne zuvor alle Möglichkeiten von Medizin und Psychiatrie ausgeschöpft zu haben. Anneliese ist verstorben. Die Priester wurden angeklagt und bestraft. Die junge Frau in ihrer Rebellion gegen die familiäre Fremdbestimmung und in ihrem Kampf um ein eigenes Leben therapeutisch zu unterstützen, wäre wohl der heilsamere Weg gewesen.

 

Jugendliche werden mit dem Thema in Filmen konfrontiert. Wer nach „Besessenheit im Film“ googelt bekommt auf moviepilot.de 129 Filme präsentiert. In „American Exorcism“ aus dem Jahr 2017 muss Damon die Geister aus der Tochter eines Freundes austreiben. Es ist ein Film von minderer Qualität. Im Namen Jesu Menschen von Besessenheit zu heilen, wird allerdings von eigens dafür ausgebildeten Priestern in den USA häufig praktiziert.

 

Diese auf individuelle Krankheitsbilder beschränkten Zugänge bedienen nicht nur eine fragwürdige Lust auf Sensationen, sie greifen in meinen Augen auch zu kurz. Besessenheit kann nicht abgelöst von der sozialen Situation verstanden werden, in der sich einzelne Menschen und Gruppen vorfinden und die sie als leidvoll erfahren.

 

Als hilfreich für ein angemesseneres Verständnis empfinde ich eine Aussage von Frau Edeltraud Addy-Papelitzky. In ihrer Schlussrede als scheidende Vorsitzende des Pastoralrates der Diözese Linz sagte sie im Rahmen der 10. Vollversammlung am 10. November 2017 in Schloss Puchberg:

 

Es ist unser Auftrag als Kirche Dämonen auszutreiben:
Damit tun wir uns schwer, nicht nur wegen der Sperrigkeit des Bildes.
Es gilt „Besessenheiten“ als solche zu benennen:

 

* wie persönliche, familiäre, gesellschaftliche Glaubenssätze, die niederdrücken,  
  gefangen halten, verstummen oder krank werden lassen

 

*  wie Strukturen der Sünde, ein neoliberales, rücksichtsloses Wirtschaften,
   Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden der Schöpfung.

 

Das bedeutet, diesen Besessenheiten andere Bilder und Kräfte wie Freiheit, Lebendigkeit, Gemeinwohl gegenüber zu stellen und erfahrbar zu machen. In einer Zeit von sogenannten Sachzwängen und Systemdynamiken ist unsere Aufgabe die Zusage, „Gottes Reich und seine Gerechtigkeit sind bereits spürbar da!“

 

In welchen soziopolitischen Verhältnissen hat Jesus gelebt und gewirkt?

 

Sein Heimatland war besetzt. Von den Römern. Ein perfides Steuerpachtsystem öffnete der Korruption und Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung Tür und Tor. Die römischen Legionäre sorgten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Aufstände wurden brutal niedergeschlagen, Terroristen vor aller Augen gekreuzigt. Die religiösen Führer kooperierten mit den Besatzern. Wirtschaftliche Ausbeutung und koloniale Unterdrückung durch die römische Weltmacht schufen einen Überdruck, der sich in unregelmäßigen Abständen gewaltsam entlud.

 

Im Volk geht die Angst um und macht die Leute krank. Krankheit wird auf unterschiedliche Weise gedeutet. In Gesellschaften, die ihre Probleme in mythischer Sprache zum Ausdruck bringen, können unter Druck und Zwang stehende Gruppen ihre Krankheiten als von Dämonen verursacht interpretieren.

 

Einen interessanten Hinweis finden wir im fünften Kapitel des Markusevangeliums.
Es erzählt von einem Menschen, der von einem unreinen Geist besessen ist. Er haust in Grabeshöhlen, schreit, verletzt sich selbst und ist nicht zu bändigen. Jesus fragt den unreinen Geist, der den Mann besetzt hält, nach seinem Namen und er antwortet: „Mein Name ist Legion; denn wir sind viele.“ Nachdem Jesus die Dämonen in eine Schweineherde geschickt hat, sehen die Leute, die inzwischen herbeigeeilt sind, den Mann bekleidet und bei Verstand. Und noch einmal wird betont, es sei derselbe Mann, der von der Legion Dämonen besessen gewesen ist.

 

Die römische Fremdherrschaft beruhte wesentlich auf der militärischen Stärke der Legionen. Für die kolonisierte Bevölkerung war es eine entsetzliche Welt, in der der Tod, der menschengemachte Tod, wie ein Dämon entfesselt war. Wenn Jesus Dämonen austreibt, dann wird auf diese Weise Fremdherrschaft symbolisch aufgebrochen. Die Angst beruhigt sich. Die Begegnung mit Jesus verbindet Menschen wieder so mit Gott, dass sie die Gewissheit haben können: die Todesdämonen haben nicht das letzte Wort.

 

Heute werden in der ganzen westlichen Welt Wahlen damit gewonnen, dass ein Gefühl wachsender Bedrohung in der Bevölkerung angesprochen, verstärkt und damit gespielt wird. Was wirklich bedrohlich ist, nämlich eine seit der Finanzkrise 2008 aus dem Ruder laufende neoliberale Wirtschaft, wird vernebelt. Die Angst vor einem Zusammenbruch all dessen, was vielen von uns einen zumindest bescheidenen Wohlstand beschert hat, veranlasst eine immer größer werdende Anzahl von Menschen dazu, sich gegen Fremde und jegliches Fremde zu wenden.
Der oft gehörte Satz „Wir werden Fremde im eigenen Land“ ist symptomatisch.

 

Wie gehen wir als Kirche damit um?
Indem wir auf Jesus schauen.

 

Wie damals in seiner Nähe das Vertrauen zuhause war, so soll es auch in unserer Nähe leben und durch heilsame Begegnungen anderen vermittelt werden.
Das heutige Evangelium beginnt mit einem Hausbesuch, der Jesus sicher nicht angenehm war. Die Schwiegermutter des Simon hatte wohl allen Grund, auf ihn wütend zu sein. Er hat dem Schwiegersohn irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt und auf diese Weise ihr Familienleben gehörig durcheinander gebracht.
Keinen Finger wird sie für diesen Jesus und seine „Bagage“ rühren. Jesus gelingt es, ihren inneren Widerstand zu überwinden, indem er ihr Herz berührt, sie an der Hand fasst und aufrichtet.

 

Klarheit finden wir heute wie Jesus damals im Gebet. Am einsamen Ort lernen wir, auf unsere innere Stimme zu hören und Gedanken und Gefühlsregungen im Hinblick auf die Frage zu unterscheiden, ob sie von Gott stammen oder nicht. Wir ziehen uns zum Gebet zurück, um das Leben immer wieder neu lieben zu können und den langen Atem der Hoffnung zu haben.

 

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